Pipelines & Netzneutralität, Nachtrag

In einem Kommentar auf Carta versucht Wolfgang Michal seine (von mir kritisierten) Aussagen noch einmal zu konkretisieren. Ursprünglich wollte ich direkt dort kommentieren, dann ging mir aber auf, dass das Thema weitreichender ist, als es zuerst den Anschein hat. Daher hier ein längerer Beitrag.

Wolfgang Michal schreibt:

Nichts anderes sage ich. Die Provider vermitteln den Nutzern den Zugang zum Internet, also zu allen damit verbundenen Nutzungsarten. Manchmal ist der Provider tatsächlich nur Durchleiter, manchmal de facto ‘Verleger’ von Inhalten.

Der Begriff „Provider“ ist besetzt für die reinen Zugangsanbieter. Nur diese sind der Netzneutralität verpflichtet. Google zum Beispiel ist (derzeit) aber eigentlich kein Zugangsanbieter, sondern ein Diensteanbieter. Gleiches gilt für PirateBay und Konsorten. Ich kann bei keiner dieser Firmen einen Internetanschluss buchen. Als Diensteanbieter sind diese Firmen damit auch anderen Verpflichtungen unterworfen.

Die Verteidigung von PirateBay lautete deshalb konsequent auch nicht, daß sie einfach nur blind Inhalte weiterleiten würden, sondern daß die von ihnen dargebotenen Inhalte legal seien — mit Netzneutralität hatte das nie etwas zu tun.

Interessanterweise haben T‑Online und Konsorten aber tatsächlich mehrere Hüte auf. Zum einen sind sie  Zugangsanbieter, das heisst sie bieten einfach eine Rampe ins Internet. Wie und für welche legalen oder illegalen Dienste ich diese Rampe nutze soll meinen Zugangsanbieter nicht interessieren, er soll sie einfach nur durchleiten.

Gleiches gilt auch für die Interconnect-Anbieter, also die Betriebe, die für die Verbindung zwischen meinem Zugangsanbieter und dem des eigentlichen Diensteanbieters zuständig sind.

T‑Online und Co sind zum anderen aber auch Diensteanbieter. Diese Rolle ist aber eigentlich losgelöst von ihrem Providerstatus zu betrachten. Als Diensteanbieter unterliegen sie natürlich allen Rechten und Pflichte wie sie auch auf zB dem Betreiber von carta​.info betreffen.

Aus dieser Vermischung von Dienste- und Zugangsanbietertum rührt dann auch die Aufregung über Netzneutralität: Es ist plötzlich für einen Zugangsanbieter zum Beispiel wirtschaftlich interessant, bestimmte Dienste auf seinen eigenen Leitungen zu bevorzugen — nämlich die, die er selbst in seiner Rolle als Diensteanbieter vermarkten will. Oder man nimmt andere Diensteanbieter in Geiselhaft, und macht deren Datenverkehr so lange langsamer, bis sie Geld bezahlen.

Das ist der Grund warum Netzneutralität so wichtig ist. Die neuen Rollen von Google & Co als Verleger sind eine ganz andere Baustelle. Keine minder bedeutsame, aber definitiv eine andere.

(Bitte zum Leseverständnis: Ich halte Wolfgang Michals Analyse, daß Google mehr und mehr eine klassische Verlegerrolle einnimmt für vollkommen richtig. Siehe auch Isotopps Ausführungen dazu. Aber im kritisierten Artikel wurden, sicherlich unbeabsichtigt, Begriffe und Schlagworte arg unglücklich miteinander vermengt.)

Gläserne und blickdichte Pipelines

Auf Carta wird über den Unterschied zwischen privater Kommunikation und Publikation nachgedacht, und die Frage aufgestellt, ob Google und die Telekom nicht die „neuen Verleger“ seien. Das ist keine dumme Frage, und zeigt schön auf, daß das Internet hier tatsächlich einige Rollen neu verteilt.

Aber, es wird mit einem absolut untauglichen Vergleich erklärt:

Aber kann man das Internet generell mit einer […] – vergleichen? Beim E‑Mail-Verkehr ist das unstrittig. Da kommuniziert eine Person mit einer anderen, und keine dritte Person soll mitlesen. Hier gilt […] das Post- und Fernmeldegeheimnis. Doch in weiten Bereichen des Internet kann (und soll) jeder sehen, was durch die Pipelines fließt – weil die Pipelines gläsern sind. Und sie sind absichtlich gläsern, denn das Netz soll jedem die Möglichkeit eröffnen, mitzulesen, mitzusehen, mitzuhören und mitzureden.

Uhm… nein. Ich bitte inständig darum, diese fehlerhafte „Leitungs“-Analogie endlich fachgerecht zu entsorgen. Selbst wenn ich einen Inhalt über das Internet veröffentliche, selbst wenn ich andere dazu auffordere über diesen Inhalt zu diskutieren, dann mache ich damit den Transportweg immer noch nicht gläsern!

Niemand stellt „gläserne Pipelines“ irgendwem zur Verfügung. Auch Google und die Telekom nicht. Sie stellen zunehmend Inhalte bereit. Sie hängen quasi Zeitungsseiten ins Schaufenster. Und sie gestatten anderen, kleine gelbe Notizzettel an diese Zeitungsseiten zu heften, oder sie zu vervielfältigen, mein eigenes Schaufenster daneben zu stellen, oder sogar, mein Schaufenster mit einer Bretterwand zuzunageln und nur bestimmten Personen zu erlauben dahinterzuschauen.

Wie diese Inhalte zu mir kommen, über welchen Transportkanal genau, wie häufig, von wo, wie lange, etc. all diese Informationen haben aber nicht gläsern zu sein. Die will ich nicht verbreitet wissen. Wenn es nach mir geht, sollen bitte alle Pipelines blickdicht bleiben — das ist ja auch der Grund, warum gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt wird, die würde nämlich alle Leitungen ohne Not verglasen…