Pressemitteilungen “piratisches Denken”

Die Piraten aus Nordrhein-Westfalen haben eine Presseerklärung rausgegeben. Dort wird die Forderung nach einer “unabhängigen Ermittlungsbehörde” gestellt. Diese Behörde soll gegen “vermeintlichen Straftaten von Polizeibeamten” ermitteln. Selbst Amnesty International fordere schon seit geraumer Zeit eine solche Behörde für Deutschland, in anderen Staaten gäbe es das schon längst.

MiGri regt sich darüber auf und bezeichnet diese Erklärung als einen “Griff ins Klo” – zu viele Dinge seien nicht verstanden, zu viele Fragen blieben offen.

Vollkommen korrekt weist er darauf hin, daß in Deutschland die Staatsanwaltschaften durchaus unabhängig von der Polizei sind. Ebenso fragt er, ob nach solch einem Verständnis denn auch bestehenden Gerichte als befangen anzusehen seien. Leicht polemisch unterstellt er den NRWlern, daß sie wahrscheinlich als nächstes auch noch Sondergerichte fordern werden.

Das es ein Problem bei der Aufklärung von polizeilichen Übergriffen gibt soll hier nicht bestritten werden. Allerdings ist es hier interessant zu beobachten, daß die Verfasser der Pressemitteilung in genau die Denkweise verfallen sind, die den etablierten Parteien von uns Piraten vorgeworfen werden:

Aktionismus & Symptombekämpfung bei nicht vollständiger Durchdringung der Materie.

Ja, genau. Das grundlegende Problem ist doch nicht, dass niemand ermittelt, oder das nur halbherzig geschieht. Das Problem ist viel fataler und vielschichtiger:

  • Zeugen sagen nichts aus
  • Beweise bestehen häufig nur aus Zeugenaussagen, und da steht meist ebenso häufig Aussage gegen Aussage
  • Polizisten als Zeugen werden von Richtern in der Regel für glaubwürdiger als Normalbürger gehalten.
  • Unser (Straf-)Rechtssystem verlangt eine eindeutige Identifizierung eines Täters – ist dieser nicht zu ermitteln, gibt es keine Verurteilung
  • Warum prügeln Polizisten eigentlich auf Bürger ein? Da muss es doch Gründe für geben, dass sie Demonstranten als Feinde wahrnehmen.

Und es wird noch fataler: Die Politik besitzt kaum effektive Mechanismen, um diese Problempunkte anzugehen. Wenn jemand nicht aussagen will, weil er sich entweder auf Erinnerungslücken, oder sogar auf ein Aussageverweigerungsrecht (er könnte sich ja mit der Aussage selbst belasten) beruft, den kann kein Politiker dazu zwingen — jedenfalls nicht ohne grundlegende Eingriffe dahinein, wie Zeugen vor Gericht behandelt werden. Will man das?

Ob ein Richter Polizisten per se für glaubwürdiger hält ist Ermessenssache, die berühmte „richterliche Unabhängigkeit“. De facto wird der sich hier auf seine allgemeine Lebenserfahrung sowie auf das, was er in seiner Studienzeit als „herrschende Meinung“ gelernt hat berufen. Letztere kann die Politik übrigens ebenfalls nicht ändern — die Freiheit von Forschung und Lehre lässt grüßen!

Eine Gruppenhaftung oder ähnliches will hoffentlich auch niemand einführen.

Ich gebe zu, ich habe von der Materie wenig Ahnung im Detail. Daher werde ich mich hüten einen ernsthaften Vorschlag zu machen, aber spontan fällt mir nur eine stärkere Einflußnahme der Politik in Form der Innenminister auf die Führungsebenen der Polizeibehörden ein. Das ist meines Erachtens tatsächlich der einzige gangbare Weg.

Solange aber die „starken Männer“ als Innenpolitiker auserkoren werden, diejenigen die „Law & Order“ und „innere Sicherheit“ versprechen, werden wir dieses Problem weiter haben.

Zum Mangel einer unabhängigen Kontrolle der Justiz: Das klingt ja zuerst tatsächlich immer nach einer schönen Idee. Die Frage ist jedoch: Wer soll hier wen worauf kontrollieren? Deutsche Richter sind unabhängig. Sie sind in ihren Entscheidungen nur dem Gesetz — und das lässt Berufungen und Revisionen zu, um gegen Fehlurteile vorzugehen zu können. Eine zusätzliche Kontrollinstanz scheint mir da wenig sinnvoll.

Dann haben wir da noch die Staatsanwaltschaften. Diese sind bei den Justizministerien angesiedelt, damit also eigentlich unabhängig von den Polizeibehörden, die ja den Innenministerien zugeordnet sind. Es gibt also eigentlich keine Möglichkeit für einen Polizisten oder dessen Vorgesetzten irgendwie über seine dienstliche Befehlskette einen Staatsanwalt daran zu hindern, seiner Arbeit nachzugehen. Müssen sie in der Regel auch gar nicht, da die oben genannten Probleme eine Aufklärung in der Regel schon so zuverlässig genug verhindern. Was soll hier also eine neue Ermittlungsbehörde besser machen könnnen?

Bestimmt gibt es solche Einrichtungen in anderen Ländern. Diese haben aber häufig auch eine sehr andere Art der Gewaltenteilung. Jedes Land hat Strafverfolgung und ‑ermittlung, sowie die Struktur von Staatsanwaltschaften & Polizisten anders aufgeteilt — und in solchen Fällen ist eine zusätzliche Behörde die gegen die Polizei ermittelt teilweise sicher sinnvoll. Bei uns sehe ich aber mehr Schwierigkeiten & Bürokratie statt einer echten Lösung.

Die erreichen wir nur dann, wenn die Führungspositionen im Bereich Inneres anfangen ernsthaft umzudenken und diese Denkprozesse bis zum letzten Wachtmeister durchdringen lassen. Das braucht Zeit und ist anstrengend — aber vernünftige politische Lösungen haben das meist so an sich.

Dem Landesverband Nordrhein-Westfalen und der Arbeitskreis Innenpolitik schlage ich auf jeden Fall vor, die Pressemitteilung zumindest um konkretere Vorschläge zu erweitern, vielleicht aber sogar die Thematik als ganzes nochmal zu überdenken. Es ist zwar Wahlkampf, so daß griffige Soundbites gerne und viel veröffentlicht werden. Aber es ist doch schon ein wenig schade, wenn sie dann solche Löcher in der Argumentation haben. Zeigt piratisches Denken, geht an die Wurzeln des Problems und legt erst da in kreativer und minimal-bürokratischer Weise die Axt an.

Ansonsten kommt gleich wieder jemand mit „wenn man keine Ahnung hat, einfa.…“ :)

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